logo_bkz_1956.jpg
Nummer 3
März              Jahrgang 1956   
 
Als Sonntags die Geschäfte noch geöffnet waren
 
Wie sehr sich die Verhältnisse in unserer gewerblichen Wirtschaft in den letzten acht Jahrzehnten gewandelt haben, wird im   raschen Lauf unserer heutigen Zeit allzurasch vergessen. Dies wurde uns besonders bewusst, als wir kürzlich im   "BreuningerBuch" blätterten und dabei auf eine Schilderung von Eduard Breuninger, dem Ehrenbürger der Stadt Backnang und   Gründer des Kaufhauses Breuninger in Stuttgart, stießen. Wenn wir heute lesen, was ein Kaufmannslehrling damals erlebte, so   können wir uns eines Schmunzelns nicht erwehren.

  Doch lassen wir Eduard Breuninger selbst erzählen.
 
Meine Lehrjahre
 
eduard_breuninger_foto.jpg

 

Am 1. Mai 1868, noch nicht ganz 14 Jahre alt, trat ich in meiner Vaterstadt Backnang bei der Firma Albert Müller (jetzt untere Apotheke) in die kaufmännische Lehre. Das Geschäft führte vorwiegend Manufakturwaren, Garne, Wollwaren usw., nebenbei auch Kolonial- und Farbwaren, Öle, Tabak, Zigarren, etwas Glas und Porzellan, hatte die Agenturen der Blaubeurer Bleiche, einer Spinnerei und Lohnweberei und war das erste Geschäft am Platze.

Das Personal bestand aus einer Ladenjungfer, einem Kommis, der im Hause gelernt hatte, und zwei bis drei Lehrlinge. Die Frau des Firmeninhabers war beständig im Geschäft, während er selbst die Gewerbebank besorgte.

Die Geschäftszeit dauerte, wie damals allgemein üblich, im Sommer von 6 Uhr und im Winter von 7 Uhr morgens an ununterbrochen, Sonntags wie Werktags, bis abends 10 Uhr, so dass jede Hausfrau noch morgens vor dem Frühstück ihren Zucker oder Kaffee oder Zichorie (es kam aber .n den meisten Familien unseres Landes Suppe und Kartoffeln auf den Tisch) und der Raucher spät abends noch seine Zigarren oder Tabak kaufen konnte; sonst wurde selten etwas in der Frühe oder in der Nacht verlangt und sicher vom Kaufmann das Erdöl nicht verdient.

Selbst an Festtagen, wenn der Laden geschlossen war, hatte ein Teil der Angestellten bis abends 7 Uhr im Nebenzimmer zu bleiben Wer Sonntags nicht in die Kirche musste, hatte auch während des Gottesdienstes im Kontor zu sein; nur jeden vierten Sonntag gab es einen freien Nachmittag, aber nur von 4-8 Uhr oder auch kürzer, wenn das Geschäft lebhaft war; von Urlaub wusste man nichts.

 
 

 

 


Das Hauptgeschäft war vormittags an den Wochenmarkttagen und an den Sonntagen nachmittags; in dieser Zeit kamen viele Landleute aus der Umgebung in die Stadt, der Laden war dann meistens voll. An Jahrmarkttagen ging es drunter und drüber. Die

Bauern trugen noch die langen Röcke
und den Dreispitz, die Frauen hatten dunkle Kleider und schwarze kleine Hauben mit Bändern oder seidene Netzkopftücher mit Fransen; es war eine festliche Stimmung, das Geld wurde
leicht ausgegeben.

Besonders aufmerksam wurden Brautleute bedient, die gewöhnlich mit dem Fuhrwerk in die Stadt kamen. Da füllte sich der Laden mit dem Brautpaar, den gegenseitigen Eltern und sonstigen wichtigen Familiengliedern, der Schneider kam und die Näherin, und mancher harte Taler wanderte von dem Lederbeutel oder der Ledergurt auf den Ladentisch. Solche gern gesehenen Gesellschaften wurden dann in der Ladenstube extra bewirtet.

eduard_breuninger_fruehjahr1898.jpg
 
 

 

 

 

 

 

 

 

Für die ruhige Zeit war das Personal viel zu groß; wir Lehrlinge wussten oft wirklich nicht - besonders in den Erntezeiten - was tun. Da wurde Woche um Woche das Lager gereinigt, Fach um Fach ausgewischt und alles pünktlich wieder an den alten Platz gebracht. An ein Fortschaffen der alten Ware dachte niemand; während meiner ganzen Lehrzeit blieben viele aus der Mode gekommene Stücke oder ganze Artikel ebenso unberührt, wie sie schon bei meinen Vorgängern als alte Freunde vorn Abstauben her bekannt waren. Dazwischenhinein beschäftigten wir uns in den verschiedenen Magazinen, deren Bestände ebensowenig einem raschen Wechsel unterworfen waren. Auch zu Haus- und Gartenarbeiten, besonders zum Gießen an warmen Sommertagen wurden wir verwendet; sonst war es uns gestattet, beliebige praktische oder theoretische Sprachstudien zu treiben, auch konnten wir nach Belieben in die Murr zum Baden gehen. Unser ausgezeichneter Kommis, Herr Ernst Reinmann, wachte getreulich über uns, dass wir unsere Zeit nützlich anwendeten, und ihm verdankten die Lehrlinge ihre Ausbildung in erster Linie.

Im Winter war es in der Frühe manchmal empfindlich kalt, der Ofen musste jeden Morgen frisch angefeuert werden. Zur Beleuchtung diente Erdöl, und des jüngsten Lehrlings erstes Geschäft war, die Zylinder zu reinigen, die Lampen aufzufüllen und die Dochte zu schneiden oder zu erneuern. Den Auslagen wurde so viel wie keine Aufmerksamkeit geschenkt. Von den vier Schaufenstern wurde in der Regel nur eines alle 14 Tage erneuert; es wurden drei verschiedene Kleiderstoffe in Falten aufgezogen und an von der Decke herabhängenden Schnüren befestigt. Die anderen Fenster beherbergten jahraus jahrein die alten Freunde, die nur jeden Samstag vorn Staub befreit wurden!

Jeder Lehrling durfte das Geld für verkauften Gegenstände selbst einnehmen.

An jedem der in Hufeisenform stehenden drei großen Ladentische waren zwei Kassen, wovon die eine als Tages-, die andere als Monatskasse anzusehen war, denn jeden Abend wurde von der Prinzipalin das große Geld aus der Tageskasse ungezählt in die für gewöhnlich geschlossene zweite Schublade gelegt. Am Schluss des Monats holte der Prinzipal die drei ziemlich gefüllten Kassen mit den ganzen Monatseinnahmen und leerte sie auf den Kontortisch. Die zwei älteren Lehrlinge hatten so ziemlich einen Tag zu tun, bis sie die halben und ganzen Kreuzer, die Groschen, Sechser, Siebenzehner, halben und ganzen Guldenstücke, Y6, % und ganzen Taler, Kronentaler, Doppeltaler usw. sortiert und rolliert hatten. Das war damals nicht so leicht, die Taler waren nicht einmal gleich groß und die Scheidernünzen von unendlicher Mannigfaltigkeit. Auch waren eine Menge außer Kurs gesetzter Münzen im Umlauf, als Vögeles- und Mariengroschen, E-Sechser, später auch österreichische Sechser, die alle ausgeschieden werden mussten. Und was für Hände bekam man dabei! Fast wie bei einem Kaminfeger, so schwarz, nur etwas fetter wurden sie. An Gold kursierten hauptsächlich und viel Napoleonsdor, dann Friedrichsdor, russische Imperial, Sovereign, selten waren württembergisehe Dukaten mit festem Kurs von 5 fl. 45 kr.; Papiergeld war sehr rar, dagegen schleppten wir Lehrlinge ganze Säcke Silbergeld, das hauptsächlich im Umlauf war, zur Post. Am Gold wurde regelmäßig verloren. Den Bauern und Geschäftsleuten musste man es zu hohen Kursen bei ihren Einkäufen abnehmen, denn sie erhielten es ebensohoch von den Fruchthändlern, Müllern, Bäckern usw. Die letzteren machten vielfach ein glänzendes Nebengeschäft, denn sie kauften an den Schrannentagen bei den Kaufleuten alles Gold möglichst nieder auf und gaben es über Kurs den Bauern in Zahlung. Heute macht es Freude, eine große Kasse zählen zu dürfen, von Kursverlust weiß man fast nichts mehr, denn fremdes Gold bleibt bei den Banken.

Gemessen wurde nach der Elle, gewogen nach Pfund, Loth und Quint. Die Waren kamen hauptsächlich von Stuttgart, Ludwigsburg, Heilbronn durch regelmäßigen Botenverkehr; eine Eisenbahn hatte Backnang damals noch nicht. Für Güter aus weiterer Entfernung war die nächste Station Waiblingen, wohin auch die Hauptpersonenbeförderung ging, während die Posten nach Ludwigsburg über Marbach, nach Hall über Murrhardt und Gaildorf geringeren Verkehr aufwiesen.
Botengänge und -fahrten, Ausgänge überhaupt wurden von uns Lehrlingen mit Vorliebe besorgt, denn sie brachten. doch einige Abwechslung in den gleichmäßigen Gang, und die Freiheit wurde auch zu mancherlei Privatliebhabereien benützt.

 

 

Der Handelsgeist unter uns angehenden Merkurjüngern zeigte sich schon frühzeitig; der eine trieb nebenher eine Briefmarkenhandlung, der andere besorgte Modellierbogen, Aussägebogen usw. für Bekannte. Natürlich musste ihm ein kleiner Gewinn bleiben, der das Betriebskapital vermehrte oder beim Bäcker oder Konditor brühwarm angelegt wurde. Da ich zu Hause wohnte und aß, musste ich auch mein Vesper mitbringen und mein kleines nettes blaues Sutterkrügle mit Most Lind dem Butterbrot von der Mutter, das Immer an einem kühlen Plätzchen untergebracht wurde, ist mir bis heute hold geblieben. Das übrige Personal hatte Kost und Wohnung beim Prinzipal.

Die größte Aufregung und eine überaus abwechslungsreiche Tätigkeit brachte die Kriegserklärung 1870. Über die Zeit der Einberufung der Reserven und der Landwehr gab es viel zu tun, weil die Angehörigen für deren vollständig neue Unterkleidung usw. sorgten. Dann kamen wieder Tage der größten geschäftlichen Ruhe und der Furcht vor dem Eindringen des Feindes. Alle Wertsachen wurden eingepackt, die Verstecke bestimmt, Säcke gerichtet, Instruktionen über die Aufbewahrung der Bücher usw. erteilt, für den Fall die Franzosen kommen sollten. Statt dessen kam eine Siegesnachricht um die andere, Glockengeläute, Böllerschießen, Beflaggen, Illumination wiederholten sich und die Festtage und der Jubel bei den Siegen von Wefflenburg, Wörth, Metz und Sedan bleiben eine unauslöschliche herrliche Jugenderinnerung.

Wie oft haben wir Lehrlinge gewünscht, nur einige Jahre älter zu sein, um auch mitkämpfen zu dürfen für König und Vaterland. Jeden Abend versammelte sich alt und jung auf dem Marktplatz. Die neuesten Nachrichten wurden besprochen, patriotische Lieder und vor allem wieder "Die, Wacht am Rhein" gesungen. Rasch kehrte das Vertrauen zurück, und täglich kamen Händler und Einkäufer, welche alle alten Vorräte von guten und schlechten Zigarren und Tabak, von denen wir ganze Magazine voll hatten, für unsere Soldaten im Feld aufkauften. Auch alle Wollgarne, Flanelle fanden den Weg als Strümpfe und Hemden zu unseren tapfern Kriegern nach Frankreich. Man war nun froh an den alten Ladenhütern, und es war wirklich bedauerlich, daß wir nicht auch einige Amazonenkorps ins Feld stellten, damit die abgelagerten Kleiderstoffe wenigstens für Hosenröcke Verwendung gefunden hätten.

Im Frühjahr 1871 verschaffte mir der vorerwähnte Herr Reinmann eine passende Stellung bei der Manufacturwaren-Großhandlung Bonnert & Gundert in Stuttgart, und ich zog zwei Monate vor beendigter 3-jähriger Lehrzeit als wohlbestallter Kommis, 16 1/2 Jahre alt, mit 400 fl. Jahresgehalt in die Residenz ein, so dass ich mit dem 50-jährigen Geschäftsjubiläum auch meine 60-jährige Tätigkeit in Stuttgart feiern kann. Mit großer Freude und allem Eifer widmete ich mich meiner Arbeit und hatte beständig das Gefühl, als ob ich für diesen hohen Gehalt nicht genug leisten könnte. Die Geschäftszeit, winters 8, sommers 7-12 und 2-7 Uhr kam mir viel zu kurz vor, und ich stellte immer Vergleiche an mit dem ersten und bestbezahlten verheirateten Arbeiter in meiner Mutter Gerberei, der morgens um 5 Uhr anfing und nur 1 fl. im Tag ohne Verpflegung verdiente.
Selbstredend reichte der Gehalt bei der gewohnten Anspruchslosigkeit und der hohen Meinung vom Wert des Geldes nicht nur für Kost, Wohnungmund Kleidung ganz gut aus, sondern ich konnte auch meine englischen und französischen Sprachstudien fortsetzen und miraußerdem in stark 1 11/ Jahren, nachdem inzwischen der Gehalt um 50 fl. gestiegen war, noch eine verhältnismäßig hübsche Summe ersparen. Natürlich fehlte es
an Unterstützung vom Hause durch freie Wasch, Heizmaterialien, Metzelsuppen usw. nicht, und auch ein kleines Mostfäßchen wanderte öfters voll von Backnang nach Stuttgart und umgekehrt leer zurück. Als damals jüngstes Mitglied durfte ich dem Jünglingsverein älterer Abteilung beitreten, bei dem mein Prinzipal, Herr Adolf Gundert, vorher Vorstand war.

Im Spätherbst 1872 verließ ich meine Stellung, um mich in Backnang zum Einjährigenexamen vorzubereiten, und trat bald nach der Prüfung am 1. April 1879 bei dem 3. Württ.-lnfanterie-Regiment in Ludwigsburg ein, weil in Stuttgart durch übergroße Anmeldungen nicht mehr auf sichere Aufnahme zu rechnen war. An demselben Tag, ein Jahr später, ging ich in meine frühere Stellung zurück, um meinem Prinzipal, die Firma hatte sich inzwischen aufgelöst, Herrn A. Gundert, bei der Liquidation seines Engrosgeschäftes behilflich sein. Nach beendigter Liquidation im Herbst desselben Jahres trat ich als Reisender bei der Manufakturwarenfirma en gros Kahn & Co. in Stuttgart ein und besuchte für diese bis zu meiner Etablierung hauptsächlich Württemberg, Baden und Bayern.

 

 
 

Und so präsentiert sich Breuninger heute im Internet


ueberuns-breuninger.jpg