Seine Lehrjahre – von Eduard Breuninger selbst geschildert

 Am 1. Mai 1868, noch nicht ganz 14 Jahre alt, trat ich in meiner Vaterstadt   
 Backnang bei der Firma Albert Müller (jetzt Adler-Apotheke) in die kaufmännische
 Lehre.

 Das Geschäft führt vorwiegend Manufakturwaren, Garne, Wollwaren usw., 
 nebenbei auch Kolonial- und Farbwaren, Öle, Tabak, Zigarren, etwas Glas und
 Porzellan, hatte die Agenturen der Blaubeurer Bleiche, einer Spinnerei und 
 Lohnweberei und war das erste Geschäft am Platze.

 Das Personal bestand aus einer Ladenjungfer, einem Kommis, der im Hause 
 gelernt hatte, und zwei bis drei Lehrlingen. Die Frau des Firmeninhabers war
 beständig im Geschäft, während er selbst die Gewerbebank besorgte.

 Die Geschäftszeit dauerte, wie damals allgemein üblich, im Sommer von 6 Uhr
 und im Winter von 7 Uhr morgens an ununterbrochen, sonntags wie werktags,
 bis abends 10 Uhr, so dass jede Hausfrau noch morgens vor dem Frühstück ihren
 Zucker oder Kaffee oder Zichorie (es kam aber in den meisten Familien unseres
 Landes Suppe und Kartoffeln auf den Tisch) und der Raucher spät abends noch
 seine Zigarren oder Tabak kaufen konnte; sonst wurde selten etwas in der Frühe
 oder in der Nacht verlangt und sicher vom Kaufmann das Erdöl nicht verdient.

 

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Lange Röcke und Dreispitz


 Selbst an Festtagen, wenn der Laden geschlossen war, hatte ein
 Teil der Angestellten bis abends 7 Uhr im Nebenzimmer zu
 bleiben. Wer Sonntags nicht in die Kirche musste, hatte auch
 während des Gottesdienstes im Kontor zu sein; nur jeden
 vierten Sonntag gab es einen freien Nachmittag, aber nur von
 4 bis 8 Uhr oder auch kürzer, wenn das Geschäft lebhaft war;
 von Urlaub wusste man nichts.

 Das Hauptgeschäft war vormittags an den Wochenmarkttagen
 und an den Sonntagen nachmittags; in dieser Zeit kamen viele
 Landleute aus der Umgebung in die Stadt, der Laden war dann
 meistens voll. An Jahrmarkttagen ging es drunter und drüber.

 

 

Die Bauern trugen noch die langen Röcke und den Dreispitz, die Frauen hatten dunkle Kleider und schwarze kleine Hauben mit Bändern oder seidene Netzkopftücher mit Fransen; es war eine festliche Stimmung, das Geld wurde leicht ausgegeben.

Besonders aufmerksam wurden Brautleute bedient, die gewöhnlich mit dem eigenen Fuhrwerk in die Stadt kamen. Da füllte sich der Laden mit dem Brautpaare, den gegenseitigen Eltern und sonstigen wichtigen Familiengliedern, der Schneider kam und die Näherin, und mancher harte Taler wanderte von dem Lederbeutel oder der Ledergurt auf den Ladentisch, Solche gern gesehenen Gesellschaften wurden dann in der Ladenstube extra bewirtet.

Abstauben und Gartenarbeit


 Für die ruhige Zeit war das Personal viel
 zu groß; wir Lehrlinge wussten oft
 wirklich nicht - besonders in den
 Erntezeiten -was tun.

 Da wurde Woche um Woche das Lager
 gereinigt, Fach um Fach ausgewischt
 und alles pünktlich wieder an den
 alten Platz gebracht.

 An ein Fortschaffen der alten Ware
 dachte niemand; während meiner
 ganzen Lehrzeit blieben viele aus der 
 Mode gekommene Stücke oder ganze
 Artikel ebenso unberührt, wie sie schon
 bei meinen Vorgängern als alte Freunde
 vom Abstauben her bekannt waren.

 



Dazwischenhinein beschäftigten wir uns in den verschiedenen Magazinen, deren Bestände ebensowenig einem raschen Wechsel unterworfen waren. Auch zu Haus- und Gartenarbeiten, besonders zum Gießen an warmen Sommertagen, wurden wir verwendet; sonst war es uns gestattet, beliebige praktische oder theoretische, oder Sprachstudien zu treiben, auch konnten wir nach Belieben in die Murr zum Baden gehen. Unser ausgezeichneter Kommis, Herr Ernst Reinmann, wachte getreulich über uns, dass wir unsre Zeit nützlich anwendeten, und ihm verdankten die Lehrlinge ihre Ausbildung in erster Linie.

  Im Winter war es in der Frühe' manchmal empfindlich kalt, der Ofen musste jeden Morgen frisch angefeuert werden. Zur Beleuchtung diente Erdöl, und des jüngsten Lehrlings erstes Geschäft war, die Zylinder zu reinigen, die Lampen aufzufüllen und die Dochte zu schneiden oder zu erneuern. Den Auslagen wurde so viel wie keine Aufmerksamkeit geschenkt. Von den vier Schaufenstern wurde in der Regel nur eines alle 14 Tage erneuert: es wurden drei verschiedene Kleiderstoffe in Falten aufgezogen und an von der Decke herabhängenden Schnüren befestigt. Die anderen Fenster beherbergten jahraus jahrein die alten Freunde, die nur jeden Samstag vom Staub befreit wurden!

Ein Tag lang Geld zählen


 Jeder Lehrling durfte das Geld für die 
 verkauften Gegenstände selbst
 einnehmen. An jedem der in
 Hufeisenform stehenden drei großen
 Ladentische waren zwei Kassen, wovor
 die eine als Tages-, die andere als
 Monatskasse anzusehen war, denn
 jeden Abend wurde von der Prinzipalin
 das große Geld aus der Tageskasse
 ungezählt in die für gewöhnlich
 geschlossene zweite Schublade gelegt.
 Am Schluss des Monats holte der
 Prinzipal die drei ziemlich gefüllten
 Kassen mit den ganzen
 Monatseinnahmen und leerte sie auf
 den Kontortisch. Die zwei älteren
 Lehrlinge hatten so ziemlich einen Tag
 zu tun, bis sie die halben und ganzen
 Kreuzer, die Groschen, Sechser,
 Siebenzehner, halben und ganzen
 Guldenstücke, 1/6,1/3 und ganzen
 Taler, Kronentaler, Doppeltaler usw.
 sortiert und rolliert hatten.

 

. Das war damals nicht so leicht, die Taler waren nicht einmal gleich groß und die Scheidemünzen von unendlicher Mannigfaltigkeit.

Auch waren eine Menge außer Kurs gesetzter Münzen im Umlauf, als Vögeles- und Mariengroschen, E-Sechser, später auch österreichische Sechser, die alle ausgeschieden werden mussten.

Und was für Hände bekam man dabei! Fast wie bei einem Kaminfeger, so schwarz, nur etwas fetter wurden sie.

An Gold kursierten hauptsächlich und viel Napoleonsdor, dann Frie drichsdor, russische Imperial, Sovereign, selten waren württembergische Dukaten mit festem Kurs von 5 fl. 45 kr.;
  Papiergeld war sehr rar, dagegen schleppten wir Lehrlinge ganze Säcke Silbergeld, das hauptsächlich im Umlauf war, zur Post.

Am Gold wurde regelmäßig verloren.

Den Bauern und Geschäftsleuten mußte man es zu hohen Kursen bei ihren Einkäufen abnehmen, denn sie erhielten es ebensohoch von den Fruchthändlern, Müllern, Bäckern usw., die letzteren machten vielfach ein glänzendes Nebengeschäft, denn sie kauften an den Schrannentagen bei den Kaufleuten alles Gold möglichst nieder auf und gaben es über Kurs den Bauern in Zahlung.

Heute macht es Freude, eine große Kasse zählen zu dürfen, von Kursverlust weiß man fast nichtz, mehr, denn fremdes Gold bleibt bei den Banken.

Güternahverkehr und Botengänge


Gemessen wurde nach der Elle, gewogen nach Pfund, Loth und Quint. Die Waren kamen hauptsächlich von Stuttgart, Ludwigsburg, Heilbronn durch regelmäßigen Bqtenverkehr; eine Eisenbahn hatte Backnang--damals noch nicht. Für Güter aus weiterer Entfernung war die nächste Station Waiblingen, wohin auch die Hauptpersonenbeförderung ging, während die Posten nach Ludwigsburg über Marbach, nach Hall über Murrhardt und Gaildorf geringeren Verkehr aufwiesen.

Botengänge und -fahrten, Ausgänge uberhaupt wurden von uns Lehrlingen mit Vorliebe besorgt, denn sie brachten doch einige Abwechslung in den gleichmäßigen Gang, und die Freiheit wurde auch zu mancherlei Privatliebhabereien benützt. Der -Handelsgeist unter uns angehenden Merkurjüngern zeigte sich schon frühzeitig; der eine trieb nebenher eine Briefmarkenhandlung, der andere besorgte Modellierbogen, Aussägebogen usw. für Bekannte. Natürlich mußte ihm ein kleiner Gewinn bleiben, der das Betriebskapital vermehrte oder'beim Bäcker oder Konditor brühwarm angelegt wurde.

Da ich zu Hause wohnte und aß, mußte ich auch mein Vesper mitbringen, und mein kleines nettes blaues Sutterkrügle mit Most und dem Butterbrot von der Mutter, das immer an einem kühlen Plätzchen untergebracht wurde, ist mir in angenehrrier Erinnerung, und dem guten Backnanger Apfelwein bin ich bis heute hold geblieben. Das übrige Personal hatte Kost und Wohnung beim Prinzipal.

Die größte Aufregung und eine überaus abwechslungsreiche Tätigkeit brachte die Kriegserklärung 1870.

  Über die Zeit der Einberufung der Reserven und der Landwehr gab es viel zu tun, weil die Angehörigen für deren vollständig neue Unterkleidung usw. sorgten. Dann kamen wieder Tage der größten geschäftlichen Ruhe und die Furcht vor dem Eindringen des Feindes. Alle Wertsachen wurden eingepackt, die Verstecke bestimmt, Säcke gerichtet, Instruktionen über die Aufbewahrung der Bücher usw. erteilt, für den Fäll die Franzosen kommen sollten.
Statt diesen kam eine Siegesnachricht um die andere, Glockengeläute, Böllerschießen, Beflaggen,- Illumination wiederholten sich, und die Festtage und der Jubel bei den Siegen von Weißenburg, Wörth, Metz und Sedan bleiben eine unauslöschliche Jugenderinnerung. Jeden Abend versammelte sich alt und jung auf dem Marktplatz. Die neuesten Nachrichten wurden besprochen. Rasch kehrte das Vertrauen zurück, und täglich kamen Händler und Einkäufer, welche alle alten Vorräte von guten und schlechten Zigarren und Tabak, von denen wir ganze Magazine voll hatten, für unsre Soldaten im Felde aufkauften.

Wohlbestallter Kommis

Im Frühjahr 1871 verschaffte mir der erwähnte Herr Reinmann eine passende Stellung bei der Manufakturwaren-Großhandlung Bonnet & Gundert in Stuttgart, und ich zog zwei Monate vor beendigter dreijähriger LehrZeit als wohlbestallter Kommis, 16 1/2 Jahre alt, mit 400 fl. Jahresgehalt in die Residenz ein.

Mit großer Freude und allem Eifer widmete ich mich meiner Arbeit und hatte beständig das Gefühl, als ob ich
für diesen hohen Gehalt nicht genug leisten könnte.

 

Die Geschäftszeit, winters 8, sommers 7 bis 12 und 2 bis 7 Uhr kam mir viel zu kurz vor, und ich stellte immer Vergleiche an mit dem ersten und bestbezahlten verheirateten Arbeiter in meiner Mutter Gerberei, der morgens schon um 5 Uhr anfing und nur 1 fl. im Tag ohne Verpflegung verdiente.

Selbstredend reichte der Gehalt bei der gewohnten Anspruchslosigkeit und der hohen Meinung vom Wert des Geldes nicht nur für Kost, Wohnung und Kleidung ganz gut aus, sondern ich konnte auch meine englischen und französischen Sprachstudien fortsetzen und mir außerdem in stark 1 1/2 Jahren, nachdem inzwischen der Gehalt um 50 fl. gestiegen war, no'ch eine verhältnismäßig hübsche Summe ersparen.

Natürlich fehlte es an Unterstützung von Hause durch freie Wasch, Heizmaterialien, Metzelsuppen. usw. nicht, und auch ein kleines Mostfäßchen wanderte öfters voll von Backnang nach Stuttgart und umgekehrt leer zurück. Als damals jüngstes Mitglied durfte ich dem Jünglingsverein älterer Abteilung beitreten, bei dem mein Prinzipal, Herr Adolf Gundert, vorher Vorstand war

Einjährigenexamen


Im Spätherbst 1872 verließ ich meine Stellung, um mich in Backnang zum Einjährigenexamen vorzubereiten, und trat bald nach der Prüfung am 1. April 1873 bei dem 3. Württ. Infanterie-Regiment in Ludwigsburg ein, weil in Stuttgart durch übergroße Anmeldungen nicht mehr auf sichere Aufnahrne zu rechnen war. An demselben Tag, ein Jahr später, ging ich in meine frühere Stellung zurück, um meinem Prinzipal - die Firma hatte sich inzwischen aufgelöst - bei der Liquidation seines Engrosgeschäftes behilflich zu sein. Nach beendigter Liquidation im Herbst desselben Jahres trat ich als Reisender bei der Manufakturwarenfirma en gros Rahn & Co. in Stuttgart ein und besuchte für diese bis zu meine Etablierung hauptsächlich Württemberg, Baden und Bayern.
  Mit ganz bescheidenen Mitteln übernahm ich am 1. März 1881 Haus und Geschäft der Firma E. L. Ostermayer, Münzstraße Nr. 1, gegen eine jährliche Miete von Mk.. 5 000.-, das Warenlager betrug etwa Mk. 30 000.-. Der Umsatz war sehr bescheiden und das Personal bestand neben einem Lehrling aus zwei Fräulein.